Am Freitag, dem 12.5.2000 fuhr ich los, bange Gefühle und ausreichend Kekse im Gepäck, um bis zum Sonntag, dem 21.5. meine diesjährigen Exerzitien in neuer und ungewohnter Atmosphäre abzuleisten; neu, weil ich sonst immer auf Nonnenwerth in vertrauter Obhut war unter den Fittichen von Pfarrer Franz Strieder, der uns behutsam an langer Leine durch die Zeit führte, und ungewohnt, weil ich beínahe doppelt so lang mich dieser geistigen und körperlichen Übung unterzog und mir meiner nicht ganz sicher war. Es hatte in der Kursbeschreibung geheissen:
Für die 300 Kilometer bis Marienrode bei Hildesheim
brauchte ich fast fünf Stunden, aber irgendwann erhob sich schon aus der Ferne
der Glockenturm des Klosters, und ich war noch pünktlich vor dem Abendessen da, und als ich dann plötzlich
zwischen der schwedischen Schwester Katarina und dem Benediktinerpater (So
sieht der also aus, hmmm... Bisschen jung noch, hat der überhaupt genug
Lebenserfahrung?) Jeremias saß und zum ersten Male meine Mitexerzitanden
sah, machten sich Gefühle mulmiger Neugier in mir breit.
Es mutete mir schon sehr seltsam und belustigend
an, wie es mich in meiner Vita vom
Spätachtundsechziger, Splitterkommunisten und
NewWave-Bassisten nach dreissigjähriger
Kirchenabwesenheit hierhin verschlagen hatte. Nun,
auf jeden Fall hatte
der Pater auch Humor, und so manche meiner Beklemmungen machte sich beim Abendessen
mit lautem Lachen davon. Lustig blieb es auch, bis ich einen Zettel an der Wand sah:
Ja, das verschlug mir erstmal die Sprache, aber die Exerzitien sollten sowieso in Schweigen vor sich gehen, ohne Telefon, Fernseher, Bücher, Musik oder andere Ablenkungen, (Ja, wann denn auch?) Daneben boten Pater Jeremias und Schwester Victoria Einzelgespräche an, für die sich jeder in eine ausgehängte Liste eintragen konnte. Von dieser Gelegenheit machte ich dann auch zweimal Gebrauch. Der obige Plan erfuhr durch die Tage leichte, aber keine grundlegenden Änderungen. Es begann alles sehr behutsam mit einem langen Ausschlafen am Samstag, und schon saß ich auf meinem Bänkchen (22cm Sitzhöhe) vom Waschbärversand, das ich extra zu diesem Behufe mitgenommen hatte. Zu Beginn längerer Sitzungen gab uns Jeremias einige Hinweise zum Meditieren, die uns tiefer und tiefer in die Achtsamkeit führen sollten. Zwischen den Sitzungen gingen wir fünf Minuten im Kreise, wie ich es schon von Zen-Sitzungen kannte, und so nahm eine esfehlenmirdiewortedafür Zeit ihren Anfang, die mir nicht nur Schmerzen in Knieen und Füssen, sondern auch ein tiefes Eintauchen in die Gegenwart Gottes eintrug, sodass ich mich bald von einer dauerhaften Gnade getragen fühlte, ohne die zu leben ich mir gar nicht mehr vorzustellen mag. Ich stand also des Morgens früh auf und suchte den Meditationsraum (die Kapelle) auf, um meine Morgensitzung abzuhalten, wie ich es auch von zuhause gewohnt war, und war zu dieser Zeit oft allein da. Nun, die anderen hatten vielleicht andere Wege, in den Tag einzusteigen. Zum Frühyoga versammelten wir uns in einem grösseren Zimmer, weil wir doch etwas Bewegungsraum und auch Platz zum Liegen brauchten, und Jeremias führte uns durch immer die gleichen Übungen, sodass wir diese schliessendlich ohne Anleitung verrichten konnten. Vor der Messe mit Eucharistie schöpfte ich die ersten Sonnenstrahlen des kühlen Morgens und liess mich dann in der wunderschönen Kirche mehr und mehr von der Kraft jahrhundertealter benediktischer Rituale einfangen, fasziniert von dem gregorianischen Gesang der Schwestern und der Ausstrahlung, mit der Jeremias, inzwischen umgezogen und in vollem Ornat, eine Messe zelebrierte. Dann gab es – ENDLICH! – Frühstück, und um 9:30 trafen wir uns in der Kapelle, in der sich sich jeder einen Platz ausgesucht und so eingerichtet hatte, dass er mit Kissen, Bänkchen, Decken undoder Stühlen eine halbe Stunde möglichst ruhig verharren konnte. Bis 12:00 Uhr waren dann fünf Sizungen zu absolvieren, die ich allerdings nicht immer alle mitmachte. Nach dem Mittagessen brachten wir uns und unsere gärtnerischen Fähigkeiten im Klostergarten ein, was auch laut Jeremias der eigenen Erdung und nebenher der Unkrautvernichtung im Kreuzgang diente. In meinen Träumen des nachts fanden sich dann auch diese wunderschönen kleinen blauen Käfer und viele Büschel Gras und Kies wieder. Dabei wurde das Schweigegebot schon öfter verletzt, weil wir uns halt absprechen mussten und dann eh schon miteinander redeten, aber der Kaffee um 14:00 wurde wieder in ruhiger Stimmung eingenommen, dann gab es drei weitere Sitzungen, und in der Aussprache nachmittags erzählte dann jeder, wie es ihm so erginge mit dem Beten und dem Meditieren, und es war mir hilfreich zu hören, welche Probleme und Gedanken andere hatten, vor allem relativierte es meine eigenen Probleme. Es war auch erstaunlich zu sehen, wie jeder anders durch diese Tage lebte und dachte, und es wuchs in mir eine grosse Lust, alle diese Leute kennenzulernen, von denen ich kaum mehr als die Namen kannte. Besonders beeindruckt war ich von den Beiträgen der teilnehmenden Ordensschwestern, in denen sich doch eine ganz tiefe Erlebniswelt widerspiegelte. Die Zeit bis zum Abendessen überbrückte ich gern in der Kirche und lauschte dem Vespergesang der Schwestern. Vor den letzten Sitzungen des Tages hatten wir dann etwas freie Zeit, die ich mit Spazierengehen oder Abhängen verbrachte, und der Abend wurde nach zwei weiteren Sitzungen mit einer Andacht abgeschlossen, in der Jeremias es sicht- und hörbar Freude bereitete, uns seine Gedanken in einer sehr persönlichen Form über einem christlichen meditativen Weg näherzubringen, meist ausgehend von einer Geschichte aus dem Neuen Testament. (GOTT ist der Weg zu GOTT..., Die vier kontemplativen Grundübungen: Schauen - Vertrauen - Lieben - Leiden) Es begann für mich überraschend mit der neutestamentarischen Variante des Mitleidens, (Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben...), und so stand von vornherein ein warmer und herzlicher Ton über unseren Tagen. Weitere Themen waren die Versuchungen Jesus in der Wüste, die mich stets aufs neue ergreifende Geschichte vom verlorenen Sohn, oder der nächtliche Besuch des Oberpharisäers Nikodemus bei Jesus. Eine sehr schöne Interpretation des Jesuszitats: "Denn mein Joch ist leicht..." brachte mir den kontemplativen Inhalt des Neuen Testaments erneut stark ins Bewusstsein, und überraschenderweise las Jeremias eines Abends eine Geschichte von Selma Lagerlöf vor, in der ein alter Haudegen das christliche Licht von Jerusalem nach Florenz bringt und sich auf diesem Wege sehr wandelt, kurz: Trotz der an äusseren Sensationen armen Erlebniswelt sank ich abends übervoll an Eindrücken ins Bett, und das Sitzen auf dem Bänkchen fiel mir gar nicht so schwer, wie ich befürchtet hatte. Das war der äussere Tagesablauf, in den mich einzufügen mir sehr leicht fiel, aber diese fast restlose Hingabe der Zeit hätte kein Arbeitgeber von mir erwarten können. Es stieg auch gleichzeitig ein grosser Schmerz in mir auf, was ich ebenfalls von anderen Exerzitien her kannte, der sich in albernem Überschwung und Weinen anmeldete. Üblicherweise machte ich diesen Schmerz an der Erkrankung meiner Kinder fest, aber diesmal ging es tiefer und weiter. So gegen Mitte der Zeit begann sich Widerstand in mir zu regen, gegen den Pater und bestimmte Übungen, die mir gar nicht behagten, und in einem Gespräch mit ihm brach dieser Unmut aus mir heraus. (Ihr unter euch, die mich kennt, werdet wissen, was der arme Jeremias aushalten musste.) Und ich bin ihm sehr dankbar dafür, dass er es aushielt und mich auch festhielt, so dass ich wieder zurückfinden konnte in die Geborgenheit des Gebetes. Ich habe seither viel nachgedacht über das, was da geschehen war, und es gibt mir immer noch zu denken, aber es war eine gute Sache, die ich auch gar nicht weiter rational zerpflücken möchte. Die Gebetszeiten wurden danach sehr spannend, und zum Schluss konnte ich mir ein Leben ohne sechs Stunden Gebet täglich gar nicht mehr vorstellen. Und letztendlich hatte ich alle liebgewonnen, die mir in der Zeit begegnet waren, Pater Jeremias, die Mitexerzitanden, die Nonnen, vor allem Schwester Monika, in deren Klosterbuchladen ich einen Grossteil meiner freien Zeit auf der Suche nach Mitbringseln für meine Familie verbrachte, kurz: ich fuhr gestärkt in mein anstrengendes Zuhause zurück, und ich würde es noch einmal tun. Mein Dank gebührt vor allem und in erster Linie dem Exerzitienmeister, der trotz seiner noch jungen Jahre uns gut durch diese Zeit geführt hat. Natürlich habe ich eine Menge intellektueller Vorbehalte und Verbesserungsvorschläge, aber ich weiss, dass diese kopfbestimmt und daher nicht weiter wichtig sind. In meinem Leben herrschte dann auch zunächst ein sehr warmer Ton vor allem im Umgang mit meiner Familie vor, es gelang mir nach meiner Rückkehr viel besser, die Gegebenheiten anzunehmen und mich achtsam und voller Liebe aud sie einzulassen, aber in der letzten Zeit weicht dieser Ton unter dem überbordenden Druck des Alltags und der üblichen Unausgeschlafenheit wieder meiner normalen Gereiztheit, die vielleicht (aber nicht nur...) ihre Ursache darin findet, in dem sehr fordernden Umfeld mit zwei Pflegefällen kaum Zeit für mich und meine Gebetsübungen erübrigen zu können, - ich arbeite dran... -, und wie der olle Budda schon sachte, ohnen orntlichen Schuss Lait is eben nich. Schliessen möchte ich meinen Bericht mit dem Gebet des Protestanten (und Düsseldorfer Jungen) Gerhard Tersteegen, mit dem Jeremias die abendlichen Ansprachen eröffnete:
Einige Tipps zum Thema:Wer sich für diese Form der Exerzitien interessiert, kann über
nähere Informationen beziehen. Die Kosten betrugen bei mir 65,-- DM je Tag (Einzelzimmer mit Vollpension), dazu kamen 150,-- DM Kursgebühr. Wer näheres über das wunderschöne Kloster erfahren möchte, sei auf die Internet-Adresse www.kloster-marienrode.de verwiesen, unter der eine ebenfalls wunderschön gestaltete Site zu besichtigen ist. Literatur zum Thema: Pater Jeremias bezog sich in den Exerzitien häufig auf: Franz Jalics Ausserem verteilte er zum Schluss der Exerzitien eine Literaturliste, in der neben dem "Jalics" folgende Bücher notiert waren.:
Für mich überraschend tauchten noch einige
andere Bücher auf -
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24.10.2012