von M.Petermöller, J.Kunze und G.Groß-Selbeck
Kinderneurologisches Zentrum, Düsseldorf, Deutschland, und
Kinderklinik und Institut für Humangenetik der Freien Universität Berlin,
Deutschland.
Abstract
Beschrieben werden zwei Geschwister, die einzigen Kinder einer Familie, mit
Epilepsie, mentalem Verfall und durch Zahnschmelzdefekt (amelogenese imperfecta)
bedingten gelben Zähnen (Kohlschütter Syndrom McK 226750)
Schlüsselwörter
Amelogenese imperfecta – Epilepsie – Psychomotorische Retardierung – neuroektodermale Störung
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Einführung
1974 beschrieben Kohlschütter(2) et al fünf Söhne einer Schweizer Familie mit
zerebralen Anfällen, Verlust der Lernfunktionen und durch Zahnschmelzhypoplasie
hervorgerufenen gelben Zähnen, auch bekannt als Amelogenese imperfecta, die
sowohl beim Milchgebiss als auch bei den bleibenden Zähnen auftrat. Die
Erkrankung begann im Alter zwischen elf Monaten und vier Jahren mit
generalisierten Krampfanfällen, die sowohl mit als auch ohne Fieber auftraten.
Bei unterschiedlichen Latenzzeiten kam es innerhalb von drei Jahren ab
Krankheitsbeginn bei den Kindern zu einer Stagnation der psychomotorischen
Entwicklung oder zu einem Verlust der bereits erworbenen geistigen und
motorischen Fähigkeiten. Alle Kinder bekamen eine Spastik. Vier der Kinder
starben, bevor sie das zehnte Lebensjahr erreicht hatten.
1988 beschrieben Christodoulou(1) et al sechs weitere Kinder einer
sizilianischen Familie, bei denen die Erkrankung im Alter von sieben bis
zweiundzwanzig Monaten ausbrach, und ebenfalls mit Krampfanfällen begann. Als
der Artikel geschrieben wurde, waren drei der Kinder bereits verstorben.
Kürzlich wurden zwei weitere Kinder von Zlotogora(3) et al beschrieben.
Separate Fälle von angeborenem Zahnschmelzdefekt (amelogenese imperfecta)
treten mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:4000 oder 1:14000 (1) auf, in
Abhängigkeit vom genetischen Erbgang (autosomal oder x-Chromosom gebunden
dominant oder rezessiv). Bislang ist ein Zahnschmelzdefekt in Kombination mit
neurologischer Auffälligkeit bis auf die Ausnahme des Kohlschütter Syndroms noch
nicht beschrieben worden. Beim Kohlschütter-Syndrom schein es sich um einen
autosomal rezessiven Erbgang zu handeln.
Im Folgenden werden zwei weitere Fallbeispiele beschrieben.
Fallbeschreibung
Beschrieben werden zwei Geschwister, die einzigen Kinder von gesunden, nicht
miteinander verwandten Eltern.
Fall1
M. wurde am 1.Mai 1988 nach der ersten normal verlaufenden Schwangerschaft
geboren, bis auf eine leichte Blutung in den ersten Schwangerschaftsmonaten.
Spontane Geburt in der 40. Woche, Apgarwerte 8/9/9, 3420 g, 53 cm, 35 cm. In den
ersten fünf Lebensmonaten war das Kind sehr unruhig. Danach wurde er auffallend
ruhig, mit nur wenig eigenen Bewegungen, zeigte ein starkes visuelles Interesse
an Mustern, aber nicht an Spielzeug oder Personen, und zeigte eine starke Abwehr
bei Berührungen. Seine Entwicklung war von Beginn an retardiert:
sich-herumdrehen mit 10 Monaten, Kriechen mit 13 Monaten, Vierfüsslerstand mit
14 Monaten, kurze Zeit ohne Hilfestellung sitzen mit 14 Monaten, danach keine
weitere motorische oder sprachliche Entwicklung.
Mit 8 ½ Monaten hatte der Junge seinen ersten generalisierten Krampfanfall
ohne Fieber. Innerhalb von zwei Tagen hat er mehrere generalisierte Anfälle
linksseitiger Betonung. Ein paar Tage später hat er generalisierte Anfälle im
Schlaf, im Wachzustand mehrere Serien von generalisierten Anfällen und einen
Status von komplexen kleinen Anfällen. Das EEG zeigt sowohl fokale als auch
multifokale sharp slow waves. Die Anfälle zeigten sich therapieresistent
gegenüber Phenobarbital, Carbamazepin und Valproinsäure. Unter einer
Alleintherapie von Phenytoin zeigten sich Serien von linksseitig betonten
generalisierten Anfällen an zwei bis drei Tagen, häufig in Verbindung mit einem
Infekt. Dazwischen gab es anfallsfreie Phasen. Durch die enorme Zahl von
Anfällen zu Beginn seiner Epilepsie, hat M. einen Verlust der bereits erlernten
Fähigkeiten erfahren, die er in Phasen schwacher Anfallshäufigkeit bis zu einem
bestimmten Grad wiedererlernt hat, allerdings nicht vollständig. Zur Zeit
beobachten wir einen Stillstand in seiner psychomotorischen Entwicklung.
Die Zahnbildung war von Beginn an gelb und zackig (Abb.1). Alle
Laboruntersuchungen waren normal: Lakto/Pyrovat in CSF und Serum, sehr
langkettige Fettsäuren, lysomale Enzyme in Leukozyten, Aminosäure, organische
Säuren im Urin. Eine MRT-Untersuchung des Gehirn zeigt nur eine leichte
Vergrösserung der Ventrikel.
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Abb.1 Amelogenese imperfecta
(Hypomineralisierung): reduzierte Zähne gelblicher Färbung mit weissen oder
braunen Kalkeinlagerungen. Allgemeiner Zahnschmelzverlust als Ergebnis von
mechanischer Abreibung oder chemischen Einflusses durch Speichel oder Nahrung,
besonders an der labialen Oberfläche und an den Molaren. Man beachte den
verbliebenen Zahnschmelz über den vorderen Zahnhälsen. (3-½ jähriger
Junge)
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Abb.2 Amelogenese imperfecta (Hypomineralisierung):
Zahnschmelz der soeben durchgebrochenen zentralen Schneidezähne mit abnormer
Färbung und weissen gelben oder braunen Kalkeinlagerungen. Beginnende Anzeichen
von Zahnschmelzverlust an den Schneidezahnkanten und -oberflächen (2jähriges
Mädchen) |
Fall 2
T. wurde am 25. Februar 1990 nach der zweiten ohne Komplikationen verlaufenen
Schwangerschaft geboren. Entbindung erfolgte durch Vakuum in der 40sten
Schwangerschaftswoche, Apgarwerte 10/10/10, 3820 g, 54 cm, 35 cm.
Im ersten Lebensjahr verlief die Entwicklung normal: Drehen mit 5 Monaten,
Krabbeln mit 7 Monaten; im Alter von 13 Monaten war ihre sprachliche Kompetenz
normal, ihre motorischen Fähigkeiten und
ihre Wahrnehmung im Grenzbereich.
Mit 8 Monaten hatte sie ihren ersten generalisierten Krampfanfall unter
Fieber mit linksseitiger Betonung. Im Alter von 13 Monaten wiederholten sich
Serien von generalisierten Krampfanfällen an einzelnen Tagen. Die Anfälle
konnten durch Phenobarbital und Carbamazepin nicht beeinflusst werden. Unter
einer Alleintherapie von Phenytoin zeigten sich Cluster von generalisierten
Anfällen mit Betonung der linken Seite über einen Zeitraum von ein oder zwei
Tagen; dazwischen anfallsfreie Phasen. Zu Beginn zeigte das EEG allgemein
verlangsamte Aktivität, danach fanden sich diskret fokale sharp waves.
Im Alter von zwei zeigte T. eine deutliche Regression ihrer psychomotorischen
Entwicklung mit Verlust sowohl der motorischen Funktionen als auch totalem
Verlust der Sprache und des sozialen Kontaktes.
Auch ihre Zähne waren, wie die ihres Bruders, seit Anbeginn gelb und zackig.
Das MRT des Gehirns war normal.
Diskussion
Beide Geschwister zeigen eine Kombination von gelben Zähnen, verursacht durch
Amelogenese imperfecta (mangelnde Zahnschmelzausbildung), Epilepsie und
fortschreitende Demenz, die typisch sind für das Kohlschütter-Syndrom. Bislang
sind drei Familien mit insgesamt dreizehn Kindern in der Literatur beschrieben
worden (1,2,3,).In der Regel beginnt die Erkrankung innerhalb der ersten zwei
Lebensjahre mit einem generalisierten Anfall mit oder ohne Fieber, der mit einem
Entwicklungsrückgang verbunden ist. Die Anfälle treten in Clustern
(Anfallsserien) auf und können mit einer Therapie nicht beeinflusst werden. Die
von Kohlschütter et al und Christodoulou
et al (1,2) beschriebenen Kinder zeigten bis zum Beginn der Krampfanfälle eine
normale psychomotorische Entwicklung. Im Gegensatz dazu zeigt eins der hier
beschriebenen Geschwister von Geburt an Anzeichen einer Retardierung, wie auch
die von Zlotogora et al (3) erwähnten Kinder, und verlor die zuvor erlernten
Fähigkeiten während Zeiten von hoher Anfallstätigkeit. Dieses Kind zeigt einen
schwachen internen Hydrocephalus, wie auch eins der von Kohlschütter
beschriebenen Patienten, wohingegen das MRT des anderen Kindes normal ist.
Christodoulou et al (1) fanden eine erhöhte CSF Laktat-Rate bei einem ihrer
Patienten. Unsere Laboruntersuchungen wie auch die von Kohlschütter et al (1)
ergaben keinen Hinweis auf das Vorhandensein irgendwelcher unbekannten
Stoffwechselstörungen. Bei der elektronenmikroskopischen Hirnbiopsie eines
seiner Patienten fanden Kohlschütter et al. degenerative Veränderungen von
Neuronen und Astrozyten, ebenfalls eine Ansammlung von „neutralem“ (?) Fett in
perivaskulären Zellen. Bei einem Patienten fanden sie Hypohidrosis.
Die bezeichnenden Symptome dieser Krankheit sind von Beginn an gelbe gezackte
Zähne infolge von Zahnschmelzbildungsdefekt. Aufgrund dieses angeborenen
Defektes wird das ansonsten nicht sichtbere fragile Dentin sichtbar.
In der von Kohlschütter et al (1) beschriebenen Familie sind nur Jungen
betroffen.Daher geht er von einem autosomalen oder x-Chromosom gebundenen
Erbgang aus. Unsere eigenen Beobachtungen von Geschwistern beiderlei Geschlechts
in der gleichen Familie unterstützen mehr die von Christodoulou et al(2) und
Zlotogora et al(3) vorgetragene Annahme eines autosomal rezessiven Erbgangs. Die
Kombination von einem angeborenen Zahnschmelzdefekt und Hypohidrosis mit
neurologischen Symptomen führt zu der Hypothese, dass das Kohlschütter-Syndrom
vielleicht als neuroektodermale Störung zu klassifizieren ist.
Quellen:
-
Christodoulou,
J., R.Hall, S.Menahem, I.Hopkins, J.Rogers : A syndrome of epilepsy, dementia,
and amelogenesis imperfecta : genetic and clinical features. J.Med. Genet. 25
(1988) 827-830.
-
Kohlschütter,
A., D.Chappuis, C.Meter, O.Tönz, F.Vassella, N.Herschkowitz: Familial epilepsy
and yellow teeth – a disease of the central nervous system associated with
enamel hypoplasia. Helv. Paediatr. Acta 29 (1974) 283-294.
-
Zlotogora, J.,
A.Fuks, J.Borochowitz, Y.Tal: Kohlschütter-Tönz syndrome: Epilepsy, dementia,
and amelogenesis imperfecta. Am. J. Med. Gen. 46 (1993) 453-454
Dr.med
Margret Petermöller
Kinderneurologisches Zentrum
Gräulinger Str. 120
D – 40625 Düsseldorf, Germany | |